Foto: Westfälisches Pferdestammbuch
Deprice von Damon Hill x Frühlingsball x Milan
Siegerstute Eliteschau Westfalen 2008
Die westfälische Eliteschau und die Sache mit der Langbeinigkeit
ein Leserbrief aus aktuellem Anlass, der auch abgedruckt wurde in der "Reiter und Pferde in Westfalen"
10/08 (gekürzt) und im
"Züchterforum " 09/08 (ungekürzt)
Landauf, landab wird sie dieser Tage allerortens beschworen, oft laut, immer
dann nämlich wenn ein Mikro zur Hand ist, wenn es gilt Auktionspferde, Kör- und
Schaukandidaten gleichermassen anzupreisen: die Langbeinigkeit.
Auch auf der hiesigen Eliteschau war der Ruf zu vernehmen, wir müssten endlich
weg von der Kurzbeinigkeit, hin zu den langen Beinen...
Oft wünschte man den lauten Forderern dann doch ein wenig Besinnung denn der
Eindruck drängt sich auf, daß Langbeinigkeit hier zu einem Selbstzweck erhoben
wird. Eine werthaltige funktionelle Begründung für diese vermeintlich
begehrenswerte Eigenschaft hat jedenfalls noch niemand dazu beigesteuert - leise
nicht, und laut am Mikro schon gar nicht.
Es dürfte auch schwer fallen hierfür eine funktionelle Begründung zu geben denn
es hiesse, das Pferd ein Stück weit neu zu erfinden.
Das Pferd ist von Natur aus nunmal ein Lauftier und kein Tragtier - die
gewünschte Tragkraft müssen wir unter dem Sattel überhaupt ersteinmal entwickeln
- aus der gegebenen Schubkraft nämlich. Nun liegt es aber in der Natur der
Sache, daß tragende Elemente mitnichten stabiler werden je höher man sie
aufbaut. Der Wunsch nach hochbeinigen Pferden (wider die Prinzipien der Natur -
sonst hätte der liebe Gott Giraffen daraus gemacht...) steht einem stabil
tragendem Rücken diametral entgegen. Je höher man etwas baut, umso instabiler
wird es - das zu begreifen bedarf es keines Physikers. Fügt man dieser Gleichung
noch das Moment der Schwingung hinzu - weil Schubkraft überhaupt erst durch
einen losgelassenen gut schwingenden Rücken in Tragkraft umgewandelt werden kann
- dann sträuben sich spätestens hier nicht nur dem akademischen Physiker die
Haare. Der gesunde Menschen- (oder sollte man nicht besser sagen:
PFERDE?)-verstand sollte uns doch eingeben, daß Langbeinigkeit an sich unseren
werthaltigen Prinzipien um ein stabil tragendes, weil sicher durchschwingendes
und vor allem losgelassenes Pferd, schlicht zuwider läuft?
Wenn sie dann noch wie heutzutage oft zu sehen als schmalbrüstige Hühnchen
daherkommen dann darf es doch niemanden mehr wundern wenn diese Pferde zwar
zunächst an der Hand ein grandioses Bild von formschöner Aktion abgeben -ähnlich
einem Model auf dem Laufsteg- aber wie ist es denn im richtigen Leben?
Spätestens unter Belastung hört man das Model laut ächtzen, und zurecht.
Spätestens im Stadium der notwendigen Versammlung sind es oft grad diese
Kandidaten von formschöner Langbeinigkeit, die dann bestenfalls noch den Titel
"Schaupferde" verdienen.
Da drängt sich doch die Sinnfrage geradezu auf:
Was wollen wir eigentlich?
Strampelnde Schaupferde oder funktionale Reitpferde nach althergebrachten
Prinzipien, die uns dank des Zuchtfortschritts der letzten hundert Jahre das
ideale Reitpferd schon heute sehr sehr nahe gebracht haben?
Sinnvoll veredeln ist eine Sache - ein nicht naturgegebenes Attribut zum
Selbstzweck zu erheben aber doch eine ganz andere.
Zum veredeln bedient man sich sinniger Weise des Vollblüters, und der kommt auch
nicht unbedingt naturgegeben "langbeinig" daher (auch diese Pferde stehen meist
in einem gesunden Rechteckformat) sondern er wird eher nur der oft geringeren
Gurtentiefe wegen als "langbeinig" tituliert.
Eine Frage der gesunden Relation - ganz sicher keine Frage der Physik.
Und wenn man sich dann die aktuelle Siegerstute der westfälischen Eliteschau
ansieht dann lacht einem das Herz weil dieses Pferd wie kaum ein anderes der
lebende Beweis dafür ist, daß unsere althergebrachten Prinzipien aufs
exzellenteste funktionieren: gestern, heute, und ganz sicher auch morgen noch.
Ein Pferd von einer akzentuierten Schubkraft die ihresgleichen sucht, ein
Rücken, der in der Lage ist diese Schubkraft in Schwungentfaltung umzusetzen daß
es die helle Freude ist. Natürliche Kadenz nennt man soetwas wohl. Ein Rücken
der geradezu dazu einlädt sich draufzusetzen und mitschwingen zu wollen - weil "tiefergelegt"
einfach trägt. Stabil trägt.
Und ich frage mich wie lange es wohl dauert bis wir zur Besinnung kommen und
statt der Langbeinigkeit dann demnächst "tiefergelegt" fordernd am Mikro
ausrufen - weil Langbeinigkeit nunmal nicht zum Selbstzweck mutieren darf. Doch
wir sind auf dem besten Wege dahin...
Meine aufrichtigen Glückwünsche gehen an das Haus Laumann nach Greven zu dieser
grandiosen Stute, die darüberhinaus auch noch tatsächlich einem reinen
westfälischen Mutterstamm -frei von "Langbeinakrobatik"- entspringt und
verbunden damit ist die Hoffnung, daß manch einer derer, die ihr wie ich am
Dienstag laut zugejubelt haben, ein wenig darüber ins nachdenken verfällt ob
dieses Pferd, wenn man es hochbeiniger stellt, wohl noch derart begehrenswert
daherkommen mag.
Sabine Brandt,
Münster, im Juli 2008
26. Februar 2010
Das niederländische Reitsportmagazin De Paardenkrant
veröffentlicht eine sinngemäße Übersetzung meines Artikels über Sinn und Unsinn
von Langbeinigkeit in der Pferdezucht in seinem Printmedium und auf der
assoziierten Webseite horses.nl. Das Thema ist dort und andernorts bereits
Gegenstand reger Diskussion - im Sinne der Sache, will ich meinen, wenn auch ein
Mangel an Sprachkenntnis nicht notwendigerweise immer den entsprechenden
Unterton heraushören lässt.
Zur online-Diskussion auf horses.nl geht es
hier entlang.
Diskussionsbeiträge in anderen niederländischen Zuchtforen stellen u.a. die
Frage nach der Langbeinigkeit meiner eigenen Pferdezucht und führen hier als
Paradebeispiel Sansibar an. Die Frage ist durchaus
berechtigt, ihre angemessene Antwort steht jedoch in keinem Widerspruch zu
meiner kritischen Einschätzung zum Thema an sich. Daher möchte ich die neu
gewonnene Popularität meines Artikels zum Anlass nehmen, das Thema weiter zu
vertiefen - konstruktive Gedanken können der Sache nur dienlich sein, ganz egal
in welcher Sprache sie geführt werden. (Fortsetzung
untenstehend)
Solange ich mich mit dem Reitsport und der Pferdezucht beschäftige ist
Langbeinigkeit für mich nie ein Thema gewesen - Funktionalität ist das einzige
Gebot, dem der Zuchtfortschritt folgen sollte.
Weshalb ich mich stets gewundert habe wenn zur Geburt eines Fohlens oder als
Anpreisung eines solchen der verzückte Ruf "... und es ist so
herrlich langbeinig!" zu vernehmen war. Und man hört es täglich wieder.
Man fragt sich was das soll?
Sollte es nicht eine Erkenntnis des gesunden Menschenverstandes sein, dass
Fohlen dem Gesetz der Natur folgend zwingend langbeinig daherkommen müssen -
einfach deshalb, weil im Mutterleib aufgrund des nur begrenzt zur Verfügung
stehenden Raumes das Gesamtpaket "Fohlen" so effizient wie möglich verpackt sein
muss?
Effizient heißt in diesem Falle:
so viel wie nötig, so wenig wie möglich.
Weshalb der Torso und mit ihm proportional Schulter und Halsung zwar vollständig
ausgeprägt aber eben so gestaucht wie möglich weil "platzsparend" geliefert
werden, während das Skelett es aber hergibt, dass Beine in überproportionaler
Länge recht gut "eingewickelt" im Gesamtpaket enthalten sind. Eine simple
Erkenntnis eigentlich, die erklärt, dass jedes Fohlen von Natur aus mit Beinen
geboren wird, deren Länge in keinem natürlichen Verhältnis zu den späteren
Proportionen des ausgewachsenen Pferdes stehen. Ich habe jedenfalls noch kein
Fohlen gesehen das nicht von Natur aus "langbeinig" geboren wäre.
Ich habe aber schon reichlich Kritiker gehört, die bereits in diesem Stadium
gern einen kurzen Hals bekritteln.
Man staunt.
Halsung und Rücken sind aufgrund der effizienten Verpackungsnotwendigkeit oft
"gestaucht" und stets das erste, das sich im Laufe der Entwicklung streckt -
proportional zur Länge der Beine nämlich. Es wäre auch schlimm wenn es anders
wäre...
Langbeinigkeit eines Fohlens ist ein natürliches Selbstverständnis weil es einem
zwingenden Gebot der Natur entspringt - mitnichten ist es aber ein Attribut von
Qualität. Und ganz sicher kann es nicht Zuchtziel eines Sportpferdes sein und
ist es in meinen Anpaarungen auch nie gewesen.
Dennoch bringt die Vielfalt der Natur es mit sich, dass manch ein Pferd später
langbeiniger daherkommt als andere. Sansibar ist ganz sicher so ein Exemplar.
Das ist auch in Ordnung solange es sich im Gesamtpaket um ein harmonisches
Konstrukt handelt das funktionalen Ansprüchen gerecht wird. Doch ist es mir bei
der Anpaarung meiner Stuten nie in den Sinn gekommen bewusst Langbeinigkeit zu
fördern, eben weil das schlicht dem Gebot der Funktionalität widerspricht aus
allen oben nachzulesenden Gründen. Und ganz sicher
war die Höhe des in Frage stehenden Fahrgestells auch bei der Auswahl von Sir
Donnerhall zu keinem Zeitpunkt ein Gedanke, der mich bewogen hat diesen Hengst
zu nutzen. Alle guten Gründe zu dieser Hengstwahl habe ich bereits vor Jahren
hier erläutert, "Langbeinigkeit" findet sich
nicht darunter. Dennoch scheint es eine gelungene Wahl gewesen zu sein.
Mangels Sprachkenntnis bleiben mir die Diskussionen unserer niederländischen
Freunde verschlossen. Schade eigentlich, das Thema ist es sicher wert in der
Breite öffentlich diskutiert zu werden. Gerade vor dem Hintergrund des
derzeitigen Durchmarsches der tatsächlich oft hochgestellten niederländischen
Pferde in Sport und Zucht und der Begehrlichkeit, die sie wecken. Immerhin
datiert mein in Frage stehender Artikel bereits aus dem Jahr 2008 - da haben
selbst die Niederländer noch nicht gewusst was sie an ihrem Totilas eigentlich
haben. Und den empfinde ich nicht einmal als besonders hochgestellt. Im
Gegenteil. Das Pferd besticht eher durch seinen auffälligen Habitus. Weshalb ich
den Einwand des Redakteurs "Dat heeft ons paarden als bijvoorbeeld Moorland’s
Totilas gebracht, waarom zou je een concept dat zo succesvol is willen
veranderen?" in diesem Zusammenhang auch nicht wirklich nachvollziehen kann. Ein
sattelloses Exterieurfoto vom Seitenbild des Wunderpferdes dürfte der Diskussion
in jeder Hinsicht auf die Sprünge helfen.
Sollte also in den letzten Jahren tatsächlich ein Wandel physikalischer Gesetze
im Hinblick auf die Stabilität tragender und schwingender Elemente stattgefunden
haben?
Es sollte mich sehr wundern.
Was tausende von Jahren Bestand hatte wird sich kaum in den letzten zwei Jahren
verändert haben.